Theologische Stimmen der dritten Generation seit der Schoa
Erst in den sechziger Jahren begann die Theologie, sich der Herausforderung durch den Holocaust zu stellen. Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann, Dorothee Sölle und Friedrich-Wilhelm Marquardt sind aus dem deutschen Sprachraum an erster Stelle zu nennen. Auschwitz betrifft das innerste Mark der Theologie, die Möglichkeit der Gottrede.
Christliche Theologen und Theologinnen der jüngeren Generation stellten sich nun zusammen mit Juden und Jüdinnen dieser Herausforderung, wobei besonders die neueren theologischen Ansätze der feministischen Theologie (Britta Jüngst) und der Befreiungstheologie (Paul Petzel) Berücksichtigung finden. Gefragt wird nach dem Zusammenhang der Katastrophe von Auschwitz mit der Geschichte der Neuzeit. Das Zeugnis von Überlebenden des Holocaust (Dagmar Mensink) wird ebenso behandelt wie die Familienbiographie der Täter (Björn Krondorfer).
Die teilweise sehr disparaten Beiträge sind äußerst lesenswert und bezeugen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Leider nicht erwähnt wurde die phänomenologische Biographie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß von Manfred Deselaers „Und Sie hatten nie Gewissensbisse?“, zumal sie einigen Stoff für kontroverse Behandlung hätte liefern können. Während Norbert Reck in seinem Beitrag „Der Gott der Täter“ (29–45) ein Grundproblem anspricht und die Verstrickungen des katholischen Dogmatikers Michael Schmaus (1897–1993) in die Naziideologie aufzeigt, hätte man hier doch noch gerne mehr gehört (vgl. etwa Lucia Scherzberg, Kirchenreform mit Hilfe des Nationalsozialismus, Darmstadt 2001). Verwunderlich ist auch, daß niemand auf die grundlegende Arbeit von Robert P. Ericksen, Theologians under Hitler, New Haven/London 1985, eingeht. Hier zeigt sich, wie wenig die Kritik der eigenen Zunft auch in der neueren Theologie verbreitet ist, vielleicht weil man manchmal selbst die Lehrstühle der einstigen „Täter“ anstrebt.
Stefan Hartmann, Oberhaid/Bamberg
Jahrgang 9 /2002 Heft 3 S. 217 f.